Netzwerk Kulturlandschaft. Auch eine Aufgabe der Archäologie und Denkmal

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Titel
Netzwerk Kulturlandschaft. Auch eine Aufgabe der Archäologie und Denkmal


Herausgeber
formation continue NIKE; BAK / ICOMOS
Reihe
Schriftenreihe zur Kulturgüter-Erhaltung 1
Erschienen
Basel 2012: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
123 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christoph Zürcher

Vor 19 Jahren wurde unter der Schirmherrschaft der ETH die Arbeitsgruppe «Weiterbildung in den Fachbereichen Archäologie, Denkmalpflege, Konservierung und Technologie » ins Leben gerufen. Heute nennt sie sich «formation continue NIKE / BAK / ICOMOS » und wird von der Nationalen Informationsstelle für Kulturgütererhaltung (NIKE), dem Bundesamt für Kultur (BAK) und ICOMOS Suisse (International Council on Monuments and Sites) getragen. Nun ist als erste Publikation der Gruppe ein gediegener und informativer Band erschienen mit 14 Beiträgen aus der Tagung Netzwerk Kulturlandschaft, die 2010 in Freiburg i.Ü. stattfand. Die Beiträge beleuchten das Problem «Kulturlandschaft und Denkmalschutz» aus verschiedenen Blickwinkeln.

Was ist eine Kulturlandschaft? Und weshalb muss sie geschützt werden? Eine der möglichen Antworten lautet: Die Wirtschafts- und Lebensformen früherer Gesellschaften haben sich sichtbar ins Territorium eingeschrieben als «Gebrauchsspuren der Erdoberfläche». Das können Ackerterrassen, Hohlwege, Bewässerungsanlagen, Drainagen, Lesesteinhaufen, Flurformen, Wirtschaftsgebäude und vieles andere sein. Eine Kulturlandschaft ist ein «geschichtliches Lesebuch». Zum Lesen bedarf es aber anderer Kenntnisse und Methoden, als sie der traditionelle Historiker mitbringt. Es bedarf vor allem auch der Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, insbesondere der Geographie oder der Archäologie.

Die «Gebrauchsspuren» dürfen weder der Wirtschafts- und Tourismusförderung noch dem Natur-, Landschafts- und Heimatschutz allein überlassen werden. Als materielle Geschichtszeugnisse stehen historische Kulturlandschaften in engem Zusammenhang mit Baudenkmälern und müssen wie diese dokumentiert und wenn möglich erhalten werden. Grund genug, damit sich auch die Denkmalpflege mit ihnen auseinandersetzt.

Im Rahmen dieser Rezension können nicht sämtliche Beiträge in dieser Publikation besprochen werden. Lesenswert sind alle. Mit der Auswahl soll Appetit auf die vollständige Lektüre gemacht werden.

Matthias Bürgi (Eidg. Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft WSL) zeigt in seinem Beitrag Landnutzung schafft Landschaft die Schwierigkeit der Definition von «Kulturlandschaft». Im weitesten Sinn ist die gesamte durch den Menschen geprägte Erdoberfläche «Kulturlandschaft» als Produkt der Landnutzung. Die schnellen Landschaftsveränderungen legen es nahe, den Begriff «Kulturlandschaft» nur in Verbindung mit einem deklarierten zeitlichen Bezugspunkt zu verwenden. Werden zum Beispiel die Landschaftshistoriker der Zukunft rückblickend einen «Fukushima-Effekt» feststellen, da ab 2011 viele schweizerische Landschaften durch Solar- und Windenergieanlagen überprägt wurden? Und würden diese Anlagen als Mahnmal für den masslosen Energiehunger unserer Gesellschaft oder als Denkmäler für den Aufbruch in ein neues Energiezeitalter gedeutet?

Daniel Gutscher (Kantonsarchäologe Bern) zeigt in seinem Bericht Bewirtschaftung der hochalpinen Landschaft einst und heute – kein Problem?, wie wichtig und wie bedroht die immaterielle Überlieferung früherer Alpsiedlungen ist. Der Archäologische Dienst des Kantons Bern suchte vor einigen Jahren im Oberhasli systematisch nach Überresten hochalpiner Alpsiedlungen. Die Zahl der Fundstellen erhöhte sich von 2 (2003) auf gegen 200 (2010)! Erstaunlich: Ein grosser Teil der Beobachtungen im Gelände wurde erst durch die Verknüpfung mit der mündlichen Überlieferung durch einheimische Gewährsleute verständlich. Noch erstaunlicher: Die Erinnerungen der Oral History reichen in der Regel bis ins 16. Jahrhundert zurück. Heute wird dieser Informationsstrang gekappt. Die Drei-Generationen-Familie, welche die Alp bewirtschaftet, gibt es nicht mehr. Heute bewirtschaften auswärtige (ausländische) Sennen die Alp, die Familie besorgt allenfalls noch die mit dem Auto erreichbare Voralp. Und die letzten Informationsträger sterben weg, sodass die Erinnerung verloren geht. Handlungsbedarf zur Sicherstellung der noch verfügbaren immateriellen Überlieferung ist also gegeben. 1

Hans-Rudolf Egli (Geogr. Institut der Universität Bern) stellt in Landschaft als Ergebnis historischer Prozesse – und Ressource für die zukünftige Raumentwicklung dar, wie mit Landschaften und ihren Elementen umgegangen werden kann, da sie einerseits vielfältige und wertvolle Dokumente der historischen Entwicklung darstellen und andererseits eine wichtige Ressource für die zukünftige Nutzung des Raumes bilden. Zielkonflikte sind vorprogrammiert. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis steht immer die Frage der Bewertung. Soll man Spuren der Vergangenheit bewahren, neu in Wert setzen oder aber verschwinden lassen? Zur Beantwortung der Frage abstrahiert die Wissenschaft Landschaftsmodelle, die aber nie die ganze Wirklichkeit abbilden können. Der Vollzug von landschaftsschützerischen Massnahmen wirkt sich allerdings auf die ganze Landschaft aus und nicht nur auf die im Modell verwendeten Elemente.

Einer interessanten Frage geht Richard Atzmüller (Amt für Raumplanung Graubünden) in Unesco-Weltkulturerbe Rhätische Bahn in der Landschaft Albula-Bernina nach: Was wird eigentlich mit dem Unesco-Gütesiegel geschützt? Natürlich nicht nur das Bahntrassee mit den spektakulären Brücken und Tunnels, den Bahnhöfen mit den zugehörigen Nebengebäuden, den Signaleinrichtungen, dem Rollmaterial usw. Zum Weltkulturerbe Rhätische Bahn gehört selbstverständlich auch die Landschaft, in der sie eingebettet ist und die sie erschliesst. Wo sind aber die Grenzen dieser zugehörigen Kulturlandschaft?

Im einzigen französischsprachigen Aufsatz La valorisation d’un inventaire fédéral zeigt Sandro Benedetti (Chef des Projekts ViaStoria romande), wie das Inventar der Historischen Verkehrswege der Schweiz IVS in Wert gesetzt werden kann. Die 12 nationalen Kulturwege sollen in den kommenden Jahren um 200 bis 300 regionale Kulturwege ergänzt werden. Erstmalig wird ein solches Inventar zur Grundlage für eine touristische Nutzung, welche wiederum die Erhaltung des Kulturerbes fördert und erleichtert und für die involvierten Regionen einen kulturellen und ökonomischen Mehrwert bringt.

Die gleiche Strategie verfolgt, wie Simone Remund (Projektleiterin Pärke von nationaler Bedeutung im Bundesamt für Umwelt BAFU) darlegt, das Projekt regionaler Naturpärke, von denen 12 im Betrieb und 7 weitere in Errichtung sind. Sie helfen mit, aussergewöhnliche natürliche Landschaften zu erhalten und gleichzeitig die wirtschaftliche Entwicklung einer Region zu fördern.

1 Ein 2006 vom Archäologischen Dienst des Kantons Bern in Auftrag gegebener Film (realisiert im Rahmen eines Zivildienstprojekts) Hochalpine Prospektion im Oberhasli wurde 2009 am VI. Internationalen Festival des Archäologiefilms mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Der Film kann beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern bezogen werden.

Zitierweise:
Christoph Zürcher: Rezension zu: Netzwerk Kulturlandschaft. Auch eine Aufgabe der Archäologie und Denkmalpflege. Schriftenreihe zur Kulturgüter-Erhaltung 1. Basel: Schwabe Verlag 2012. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 4, 2012, S. 64-66.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 4, 2012, S. 64-66.

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